Die nach wie vor schwer zu realisierende Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird gerne öffentlich diskutiert, aber noch lange nicht grundsätzlich genug, finden Susanne Garsoffky und Britta Sembach, deren Buch "Die Alles-ist-möglich-Lüge" gerade erschienen ist. In einem Gastbeitrag für Zeit online stellen beide die Maßstäbe, die bei solchen Diskussionen angelegt werden, in Frage und plädieren für eine viel grundsätzlichere Systemkritik. So kritisieren die beiden, dass häufig die Lebenswege von Powerfrauen in gut dotierten Positionen als Beleg für die Vereinbarkeit von Job und Familie herangezogen werden. "Diese Powerfrauen sind Frauen, die man nicht wirklich gut leiden kann, aber heimlich ein bisschen beneidet. Weil sie Kraftpakete zu sein scheinen, die so gut wie nie müde, hungrig oder überarbeitet sind. Und dabei immer ausgeschlafen wirken und top frisiert sind. ... Powerfrauen liefern den Sound zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hey – dröhnt es aus allen Richtungen –, ihr müsst euch alle nur genügend anstrengen, dann seid ihr auch multitaskingfähig, unkaputtbar und leistungsstark. Der Druck, der dadurch auf die vielen Mütter und Väter entsteht, die verzweifelt versuchen, allen Anforderungen auch nur halbwegs gerecht zu werden, ist enorm." Garsoffky und Sembach wünschen sich eine Abkehr von der vorherrschenden Ideologie, miteinander vereinbaren zu wollen und zu sollen, was anscheinend nicht vereinbar ist. Ihr Plädoyer: "Hören wir endlich auf, die 'Vereinbarkeit' als ein rein individuelles Problem zu sehen, an dem jeder und jede aus persönlicher Unzulänglichkeit verzweifelt. Schauen wir uns genau an, unter welchen Umständen Familien in Deutschland diesen Spagat leben müssen – und ändern wir diese, bevor wir Eltern weiter auffordern, sich selbst und ihre Kinder immer weiter zu optimieren. Erkennen wir an, dass Familienarbeit eine ernstzunehmende, aufwändige und gesellschaftlich existentielle Arbeit ist – und hören wir auf, diejenigen zu bestrafen, die sich dafür entscheiden. Hören wir auf damit, nur Erwerbsarbeit einen Wert beizumessen, weil diese Haltung alle anderen Arbeiten gnadenlos entwertet. Machen wir die Gesellschaft fit für die On-off-Biografie! Einen Lebenslauf also, in dem Phasen der Erwerbsarbeit immer wieder mit Phasen der Familienarbeit abwechseln können, von der Gesellschaft getragen und den Unternehmen gefördert. Denn nur so können wir dem Fachkräftemangel begegnen und gleichzeitig Menschen Mut zur Familie machen. Viel zu viele hat dieser Mut längst verlassen."
Wieso Familie und Beruf nicht zu vereinbaren sind, Zeit online 2.10.14
© Dr. Nadja Rosmann 2024
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