Die Zeit der Ichlinge ist vorbei
Die Writschaftswoche lässt in einem Interview den Philosphen Richard David Precht zu Wort kommen und spricht mit ihm über die Bedeutung des Egoismus in der Wirtschaft. Prechts klare Erkenntnis: "Unser System steht auf der Kippe - Alphatiere und Ichlinge haben keine Zukunft mehr." Für den Philosophen liegt die Ursache der Wirtschafts- und Finanzkrise in der Selbstsucht weniger, die allerdings aufgrund der systemischen Strukturen nicht nur viel erreichen, sondern auch viel zerstören können. "Wie es aussieht, werden nette Altruisten eher selten Spitzenbanker. Das System der Finanzwelt filtert offenbar die Sympathischsten aus. ...Wenn man in so einem derart hoch kompetitiven Umfeld arbeitet, bedingt das bestimmte Charaktereigenschaften. In so einer Horde wird der Egoismus geradezu gezüchtet, da gehört er zu den Spielregeln einfach dazu. Aber letztlich gilt das für das gesamte System des Kapitalismus. ... Im Zeitalter der Globalisierung ist der Kapitalismus mittlerweile vor allem ein Moralzehrer. Marktnormen kannibalisieren Sozialnormen und das System damit sich selbst. Damit ist die Selbstvernichtung des Kapitalismus gewissermaßen systemimmanent", so Prechts Einschätzung. Der Philosoph plädiert für die "Rückkehr zu einer Kultur des Anstands, zu einem unausgesprochenen moralischen Betragen". Als Beweis dafür, dass sich dieser Wandel bereits abzeichnet, wertet er den wachsenden "sozialen Patriotismus" bei Jugendlichen oder auch die Bürgerproteste gegen Stuttgart 21.
"Unser System steht auf der Kippe", WiWo 13.10.10