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Mindfulness und eine neue Bewusstseins-Kultur in Alltag und Business

© Dr. Nadja Rosmann 2024
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Ein neurologischer Blick auf die Veränderungsresistenz

Der Neurobiologe Gerald Hüther wirft in einem Beitrag für die Zeitung Kurskontakte einen interessanten Blick auf das Thema Sinnsuche und zeigt, wie schwierig es für das Individuum ist, zwischen gesellschaftlich notwendigen Anpassungsleistungen und Selbstentfaltung zu pendeln. "Die Suche nach Sinn ist also kein nutzloses oder esoterisches Unterfangen, sondern eine sich aus der Arbeitsweise und der Strukturierung des menschlichen Gehirns zwangsläufig ergebende Notwendigkeit. Die Hirnentwicklung lässt sich als ein Prozess der sukzessiven Herausformung von in sinnvoller Weise den älteren Strukturen jeweils übergeordneten und diesen älteren Strukturen selbst wieder Sinn verleihenden Metarepräsentanzen verstehen. Durch die im Verlauf von Erziehung und Sozialisation gemachten Erfahrungen kommt es zu strukturell im Gehirn verankerten Anpassungsleistungen, die aus sozialer Sicht zwar sinnvoll, aber mit den am eigenen Leib gemachten Erfahrungen unvereinbar – sinnlos – sind. Die damit einhergehende Entfremdung wird so zur Triebfeder einer lebenslangen Suche nach Kohärenz zwischen selbstgemachten und von anderen übernommenen Erfahrungen – der Suche nach Sinn", erklärt Hüther. Die sich im Zuge der Sozialisation herausbildenden Hirnstrukturen wirken gewissermaßen wie ein Filter, denn Informationen, die zu dem, was im Gehirn bereits präsent ist, passen, werden deutlich leichter verarbeitet: "Was schon da ist, was an Verknüpfungen im Gehirn bereits entstanden ist, ist entscheidend dafür, wie das Neue beschaffen sein muss, damit es zum bereits Vorhandenen passt. Wenn es passt, hat es einen Sinn, wenn es nicht passt, wird es als Unsinn abgetan." Dieses Verarbeitungsprozedere erklärt auch, warum der Mensch sich mit Veränderungen so schwer tut, denn laut Hüther ist es bisweilen notwendig, die im Hirn bereits entstandenen Verschaltungsmuster auf neue Weise miteinander in Beziehung zu bringen, damit Neues sich sinnvoll in den vorhandenen Erfahrungsschatz integrieren lässt. Gleichzeitig ist das Gehirn jedoch grundsätzlich auf das Knüpfen von Verbindungen angelegt, also offen für neue Impulse. Diese Offenheit wird jedoch häufig von einer gesellschaftlichen Dynamik überlagert, die eher beschränkend wirkt. "In einer von Leistungsdruck und Konkurrenzdenken geprägten Gesellschaft, in der man bereits als Kind dazu angehalten oder zumindest ermutigt wird, sein Ich ... auf Kosten anderer zu stärken, sind ... Abgrenzungs- und Abspaltungsprozesse unvermeidlich. Für Menschen, die in eine solche, von Effizienzdenken, von Machbarkeitswahn und von Konkurrenzkampf geprägte Gemeinschaft hineinwachsen, hat weder Achtsamkeit noch Behutsamkeit irgendeinen Sinn. ... Langfristig haben solche Einschränkungen der Beziehungsfähigkeit von Menschen bzw. der Konnektivität ihrer neuronalen Verschaltungen im Gehirn ... einen hohen Preis und fatale Folgen: ein Verlust der Offenheit und Kreativität, eine sich ausbreitende Verunsicherung und Angst, ein Zerfall sozialer Bindungen und Unterbrechung der transgenerationalen Weitergabe von Erfahrungen." Dieser Negativdynamik hält Hüther die Vision entgegen, einen neuen gesellschaftlichen Konsens über sinnvolle gemeinsame Ziele herzustellen, der auf eine Verbesserung der Beziehungsfähigkeit abzielt.
Vom Reiz des Lernens, Kurskontakte Oktober 2009

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Buch-Tipps
Meine beiden Bücher, die ich mit Paul J. Kohtes geschrieben habe.

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