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Mindfulness und eine neue Bewusstseins-Kultur in Alltag und Business

© Dr. Nadja Rosmann 2024
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Hirn-Doping oder Neuro-Enhancement?

Hirn-Tuning ist ein Thema, das mit den wachsenden Erkenntnissen der Neurowissenschaften immer mehr an Bedeutung gewinnt. Studien zeigen, dass bereits rund 10 Prozent der in den USA Studierenden im Laufe ihres Studiums zu Neuro-Stimulanzien greifen, um ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern. Auch im Arbeitsleben gewinnen Pillen, die auf die eine oder andere Art kurzzeitig die Leistungsfähigkeit erhöhen, immer mehr an Bedeutung. 58 Prozent der Personen, die zu solchen Mitteln greifen, wollen damit ihre Konzentration verbessern, 43 Prozent zielen auf größere Wachheit ab. Das Magazin "Gehirn & Geist" hat nun ein Memorandum von sieben WissenschaftlerInnen veröffentlicht, die das Thema Hirn-Tuning unter die Lupe nehmen. Den Begriff "Hirn-Doping" lehnen die ExpertInnen dabei strickt ab, da er missbräuchliche Anwendungen nahe lege. Sie bevorzugen den Terminus "Neuro-Enhancement" als eher neutralen Begriff. Die AutorInnen widmen sich unter anderem der Diskussion darüber, welche Stimulanzien gesellschaftlich anerkannt sind und welche nicht. Während Meditation oder Coaching zum Teil hohes Ansehen genießen, wenn es um die Persönlichkeitsoptimierung geht, sei dies bei Mitteln zur Einnahme nicht der Fall. Die WissenschaftlerInnen kritisieren hier die Doppelmoral, mit der die Diskussion gegenwärtig geführt wird und weisen darauf hin, dass die erzielten Effekte durchaus vergleichbar sind und sich bei medizinischer Indikation auch kein Widerstand gegen den Einsatz von Tabletten formiere. Eine weitere wichtige Frage: Gefährdet das Hirn-Tuning die persönliche Authentizität? Die ExpertInnen sehen hier eher weniger Gefahren, zumindest im Hinblick auf die Frage, ob es einen Unterschied macht, wenn man sich oder seine Persönlichkeit durch eigene Anstrengung oder durch die Einnahme von Mitteln "verbessert". Die Frage ist ihrer Meinung nach eher, wie weit das realisierte Potenzial vom bisherigen Ist-Zustand abweicht. Ist die Diskrepanz groß, bestehe die Möglichkeit, dass man die ursprüngliche Persönlichkeit eher als defizitär erachte. Ein Aspekt, der für meine Begriffe in dieser Diskussion viel zu wenig berücksichtigt wird, ist die Frage, wie viel Wandel die Persönlichkeit verträgt. Methoden wie Meditation und Coaching haben den großen Vorteil, dass sie zumeist nicht ad hoc Veränderungen induzieren, sondern diese im Zuge eines längeren Prozesses entstehen und sich so auf der psychischen Ebene leichter integrieren lassen. Beschleunigt man mit einer Pille hingegen von 0 auf 100, ist die Diskrepanz erheblich größer und damit wächst die Gefahr, dass das Individuum sich schwerer tut mit der Integration dieser neuen Erfahrungsebene. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage, warum wir uns "verbessern" wollen? Temporär die Müdigkeit auszuschalten oder die Konzentration zu steigern, mag sicherlich in vielen Kontexten nützlich sein. Schwierig wird es jedoch, wenn, wie beispielsweise im Arbeitsleben, die Anforderungen immer weiter steigen und man versucht, nun mit Tabletten Schritt zu halten. Dies setzt nicht nur eine quasi endlose Anpassungsspirale in Gang (die irgendwann einen natürlichen Höhepunkt erreichen dürfte, der sich nicht mehr erweitern lässt), sondern verhindert auch, dass wir die Regeln des Systems hinterfragen. Ich würde lieber fragen: Wie viele Belastungen am Arbeitsplatz und welche Leistungsanforderungen sind sinnvoll und wo übersteigen sie ein menschliches Maß?
Das optimierte Gehirn, Gehirn & Geist 11.2009

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Meine beiden Bücher, die ich mit Paul J. Kohtes geschrieben habe.

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