In den Fängen des berechnenden Bewusstseins
Seit die ersten Corona-Impfstoffe auf dem Markt sind, zeigt sich in der Öffentlichkeit in Politik und Wirtschaft wie auch der breiten Bevölkerung, wie sehr wir alle doch von einem berechnenden Bewusstsein getrieben werden. Die Allianz beispielsweise veröffentlichte gerade eine Studie, die zeigt, dass Europa aufgrund der Langsamkeit der europäischen Impfkampagnen voraussichtlich im Vergleich zu Ländern, die schneller impfen, einen wirtschaftlichen Schaden von 90 Milliarden Euro riskiert. Ich möchte gar nicht in Abrede stellen, dass die Impfstoffversorgung möglicherweise besser hätte laufen können, und ich bin sehr dafür, diese Fragen wirklich offen zu diskutieren, aber irgendwie sitzt mir auch quer, dass die Situation sofort wieder vor allem im Kontext wirtschaftlicher Zahlen diskutiert wird. Und vor allem, dass im Vordergrund steht, welche Länder zur Zeit ihre Bevölkerungen am besten mit Impfstoff versorgen, aber nur wenig darüber gesprochen wird, wie es um die Zukunftschancen jener Länder bestellt ist, die in diesem Verteilungskampf immer noch ganz am Ende der Warteschlange stehen. Vielleicht ist es naiv, dass ich mir hier mehr Verbundenheit wünsche, mehr Einsicht darin, dass uns vordergründig mehr beschäftigen sollte, wie alle Menschen angemessen bei den Impfungen berücksichtigt werden können. Denn wahrscheinlich ist der wirtschaftliche Schaden, der durch das Vorpreschen der reichen Länder beim Impfen für die ärmeren entsteht, viel größer als jene 90 Milliarden Euro, die in der EU vielleicht in den kommenden Monaten mehr verdient werden könnten.
Verzögerung beim Impfen kostet Europa 90 Milliarden Euro, welt.de 4.2.21