Im Hinblick auf die eigene Arbeit die Sinnfrage zu stellen, scheint ein Phänomen zu sein, das immer mehr um sich greift. Wir wollen nicht mehr einfach einen Beruf ausüben, sondern suchen nach einer Berufung (mit der wir auch Geld verdienen können). Wo Karriere eher ein Streben nach Macht oder hohem Einkommen meint, bedeutet das Calling, die Berufung, Arbeit und Leben als Einheit zu sehen und die Beziehung zwischen beiden zum vitalen Bestandteil der eigenen Identität zu machen. Was auf den ersten Blick wie ein Einklang auf höherer Ebene wirkt, könnte jedoch auch seine Tücken haben. So mahnt ein Artikel auf Zeit online zum Thema: "Künftig werden mehr und mehr Menschen ihre Arbeit als Berufung wahrnehmen, ob aus oktroyierter Illusion oder echter Empfindung. Durch die Konzentration auf ihre Talente und die dauernde, fast narzisstische Eigenreflexion finden sie Halt bei sich selbst, während sich der Rest der bekannten Welt in Unbeständigkeiten auflöst. Das kann zu ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Lebenszufriedenheit beitragen, birgt aber auch ein großes Risiko. Denn wer aus inneren oder äußeren Beweggründen ganz in seiner Arbeit aufgeht, dem bleibt kaum Zeit für andere Dinge." Die Tücke liegt hier vielleicht im Detail, denn in seiner Schlussfolgerung vollzieht der Kommentar dann doch wieder eine Trennung - zwischen Berufung und Leben ... Und dies nicht gänzlich unbegründet, denn solange unsere Berufung sich in den Strukturen einer Arbeitswelt vollzieht, in der Gewinnmaximierung und stetige Leistungssteigerung zu den nach wie vor wenig hinterfragten Rahmenbedingungen zählen, besteht immer die Gefahr, dass des Einen höherer Ruf des Anderen Ausbeutungsmechanismen nährt. Bereicherung hat eben nach wie vor viele Facetten. Aber vielleicht hat es ja auch positive Auswirkungen auf bestehende Systeme und Strukturen, wenn wir uns häufiger die Sinnfrage stellen und dem, was als Antwort in uns aufsteigt, folgen?
Wir fühlen uns berufen, Zeit online 8.4.14
© Dr. Nadja Rosmann 2024
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