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Mindfulness und eine neue Bewusstseins-Kultur in Alltag und Business

© Dr. Nadja Rosmann 2024
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Neuro-Enhancement: Mehr Schein als Sein

Die Optimierung kognitiver Leistungen durch die Einnahme von Medikamenten macht seit wenigen Jahren immer mal wieder Schlagzeilen. Unter dem Stichwort Neuro-Enhancement diskutieren Forscher und Ethiker seit längerem darüber, welche gesellschaftlichen Folgen sich daraus ergeben könnten. Die FAZ kritisiert nun, dass hier mit einer Phantomdebatte Marketing gemacht werde. Doch zunächst zu den wissenschaftlichen Diagnosen. "Einen ernüchternden Einwurf macht der Frankfurter Soziologe Torsten Heinemann in dem Band 'Leben mit den Lebenswissenschaften'. Er analysiert die Debatte über den neuen Weg zum klaren Kopf als Anzeichen einer "Medikalisierung", soll heißen: einer Ausweitung des medizinischen Zugriffs in Alltagsbereiche hinein, die bis vor kurzem nicht in ärztliche oder gesundheitspolitische Zuständigkeit fielen. Kognitive Leistungsfähigkeit zu steigern schlüpft unvermerkt in das Gewand einer medizinischen Maßnahme: Wir lernen, dass ein Normalzustand als behandlungsbedürftig gelten kann - und dass nun Ethikexperten eingeschaltet werden müssen, um mit dem 'Neuen' der pharmazeutischen Möglichkeiten verantwortlich umzugehen", so die FAZ. Die FAZ sieht hier weitaus weniger Handlungsbedarf, da es gegenwärtig noch gar keine Beweise gebe, dass Medikamente wie Ritalin, Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oder Betablocker, die immer wieder als Neuo-Enhancer ins Spiel gebracht werden, überhaupt leistungssteigernd wirken. "Vor allem, wer übermüdet ist, zeigt nach Einnahme solcher Mittel messbar bessere Leistungen. Wer jedoch wach und ohnehin überdurchschnittlich leistungsfähig ist, dessen Werte sinken nach Einnahme der Medikamente eher ab. Dazu wirken allenfalls geringe Dosierungen positiv. Steigert man die Dosis, werden Leistungen messbar schlechter. Auch einschlägige Umfragen unter amerikanischen Hochschulangehörigen, die jeweils zu zehn bis fünfzehn Prozent (Studierende) oder gar zwanzig Prozent (Wissenschaftler) angaben, sich mit Tabletten mental fitzumachen oder schon fitgemacht zu haben, sagen allenfalls etwas über den Gebrauch der Mittel, nicht aber über den Erfolg", merkt die Zeitung an. Heinemann selbst geht es indes um eine viel grundsätzlichere Frage, denn er stellt einen Zusammenhang her zum Erfolgs- und Leistungsdruck der "wissensbasierten Ökonomie des Neoliberalismus" - wo der Stress immer größer wird, wächst auch die Sehnsucht nach - medizinischen - Lösungen. Stehen wir also tatsächlich vor einer "Medikalisierung" der Gesellschaft? Im Zweifel wird diese Entwicklung, wenn erst einmal wirksame Neuro-Enhancer auf dem Markt sind, sicherlich einsetzen. Hat der Mensch doch häufig einen Hang, jemand sein zu wollen, der er eigentlich nicht ist, bzw. das Bedürfnis, auf möglichst einfachem Weg seine Ziele zu erreichen - die Debatte um den Promotionsbetrug des Bundesverteidigungsminister (wenngleich ein anderes Feld) macht dies wieder einmal augenscheinlich. Auf absehbare Zeit wird nebenwirkungsfreies Hirndoping sicherlich eher Wunsch denn Wirklichkeit sein. Und wer dennoch ein wenig an seinen geistigen Fähigkeiten drehen möchte, ist - wir haben schon mehrfach über dieses Thema berichtet - mit Meditationstechniken weitaus besser bedient, denn sie haben keine Nebenwirkungen und tragen zudem auch zur Entwicklung der Persönlichkeit bei. Eine Form der Optimierung, die man auch manchem Pseudo-Wissenschaftler gerne nahelegen würde.
Wie mit einer Phantomdebatte Marketing gemacht wird, FAZ 28.2.11

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