Nicht jedes Bellen ist ein Schuldeingeständnis
Getroffene Hunde bellen, weiß der Volksmund. Doch psychologisch muss das nicht unbedingt zutreffend sein, wie eine Studie aus den USA und Kanada mit rund 5.000 Versuchspersonen zeigt. Die Wissenschaftler untersuchten, wie das Verhalten von Beschuldigten auf ihre Glaubwürdigkeit wirkt - und welche Ursachen es eigentlich hat. Die Wahrnehmung der Beobachter des Studiensettings, fiktiver Gesichtsverhandlungen, folgte dabei der landläufigen Meinung, dass lautstarke Abwehr quasi ein Schuldeingeständnis ist. Auf sie wirkten die Probanden, die sich Anschuldigungen gegenüber ruhig verhielten, unschuldiger als jene, die leichten Ärger zeigten oder gar laut wurden. Je mehr Ärger artikuliert wurde, umso schuldiger, lautete ihre Einschätzung. Diese Erkenntnisse verglichen die Psychologen mit den Selbsteinschätzungen der Probanden. Sie sollten sich an ihre Reaktionen in einer Situation erinnern, in der sie zu unrecht beschuldigt worden waren. Dabei zeigte sich: Ein solch falscher Verdacht führte bei 95 Prozent dazu, dass sie die Anschuldigung von sich wiesen. Während unter jenen, die treffenderweise beschuldigt worden waren, nur 41 Prozent die Tat auch abstritten. Aus der Resonanz auf eine Beschuldigung Erkenntnisse über den wirklichen Sachverhalt ableiten zu wollen, führt also in die Irre. Gleichzeitig hilft es im Angesicht nicht gerechtfertigter Anschuldigung anscheinend auch, in Ruhe zu diskutieren statt sich durch aufbrausendes Verhalten unnötig verdächtig zu machen.
Ärger macht verdächtig, spektrum.de 1.9.21