Sind wir Opfer eines Nocebo-Effekts?
Neue Erkenntnisse aus der Placebo-Forschung könnten gesellschaftliche Entwicklungen in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen. Vor kurzem widmete die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung eine ganze Seite den negativen Auswirkungen des Placebo-Effekts. Der Glaube an die Wirksamkeit eines Placebos kann Berge versetzen, das ist bekannt. Doch umgekehrt funktioniert das genau so. So werteten Forscher 143 Studien mit fast 13.000 Patienten aus und stellten fest, dass Scheinmedikamente nicht nur die versprochenen positiven Wirkungen hervorrufen können, sondern auch - wenn ihnen Nebenwirkungen zugeschrieben werden - negative. Etwa jeder fünfte Proband, der in einer Studie ausschließlich Placebos erhält, klagt im Verlauf über Nebenwirkungen. Dieser Effekt stellt sich vor allem ein, wenn andere Studienteilnehmer ebenfalls entsprechende an sich wahrnehmen. Vielleicht sollte man vor diesem Hintergrund viele gesellschaftliche Trends einmal mit neuen Augen betrachten. Sind beispielsweise wirklich nur noch zehn Prozent aller Arbeitnehmer mit Leidenschaft bei der Arbeit, wie es uns die Gallup-Studie seit Jahren vor Augen hält? Oder haben wir innerlich gekündigt, weil die Stimmung im Kollegenkreis ähnlich ist? Gibt es das Phänomen Bore-out wirklich oder glauben wir uns nur zu langweilen, weil wir regelmäßig darüber lesen, dass dies ein unter Arbeitnehmern verbreitetes Problem ist? Glauben wir, dass unsere Chefs unfähig sind, weil es bei all den Motz-Statistiken der letzten Jahre eher unwahrscheinlich ist, dass sie es nicht sind? Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Ich möchte hier nicht die Ergebnisse zahlreicher Studien ad absurdum führen. Doch Wahrheit entsteht immer im Auge des Betrachters. Seien Sie also achtsam.
Ich werde schaden, FAS 20.9.2009