Warum Achtsamkeit politischer werden sollte
Trends bringen immer auch Kritik hervor und seit Meditation und Achtsamkeit zu einem Breitenphänomen geworden sind, bekommt auch die meditative Beschaulichkeit Risse. Ein neuer Artikel des Philosophie Magazins etwa beschreibt das herausforderne Wechselspiel zwischen achtsamkeitsgetriebener Kulturkritik und der Vereinnahmung des Spirituellen. Kilian Thomas schreibt: "Die Konjunktur der Spiritualität lässt sich beinahe als Korrektiv zur Transzendenzlosigkeit der Moderne begreifen. Die gesellschaftspolitische Wirksamkeit wird jedoch allzu oft blockiert. Allerdings nicht, wie anzunehmen wäre, von einer zensierenden Übermacht, die in der Spiritualität ihren zu unterdrückenden Widersacher erkennt. Im Gegenteil, der sublime Spätkapitalismus übt sich erfolgreich darin, spirituelle Werte in seinem Sinne umzugestalten: Längst wird etwa Yoga als Wellness und produktivitätssteigernde Methode der Selbstoptimierung vermarktet." Er kritisiert, dass praktizierte Achtsamkeit leicht zu einer Ausweichbewegung vor der Gegenwartskultur mit ihren Leistungswünschen und ihrer Hektik werde. Und er bemängelt eine Trennung von gesellschaftlichem Handeln und persönlichem Wachstum, die dazu führe, dass sich die grundsätzlichen Verhältnisse nicht verändern. "Während aktivistische Kreise den Wandel von politischen Strukturen anstreben und dabei oft das Individuum ausklammern, fokussieren sich spirituelle Kreise meist ausschließlich auf den persönlichen Wandel. Wahres Potenzial zur Veränderung hätte indes eine Synthese beider Kräfte", so Thomas. Wie diese aussehen könnte, deutet er mit einem Zitat Foucaults an, das im Kontext der iranischen Revolution entstand. Foucault meinte: "Aber vor allem müssen wir uns selbst verändern. Wir müssen unsere Lebensweise, unser Verhältnis zueinander, zu den Dingen, zur Ewigkeit, zu Gott usw. vollkommen verändern. Nur bei solch einer radikalen Veränderung unseres Erlebens wird es eine echte Revolution geben." Es ist mehr als eine Veränderung im rein Persönlichen, die hier angesprochen wird, denn der Philosoph deutet auf unsere Beziehungen zum Leben, zur Mitwelt, zum Gegebenen. Und Beziehungen sind, so sie aktiv gestaltet werden und nicht als Rückzug nach innen eigentlich eine Beendigung der Beziehung darstellen, jener Möglichkeitsraum, in dem wir Veränderungen anstoßen können. Thomas fordert hier deutlich mehr öffentliche Verständigung: "Folgt aus der spirituellen Lehre einer wechselseitigen Verbundenheit allen Lebens nicht eine Ethik der Verantwortung? Aus dem holistischen Weltbild das Ideal einer nachhaltigen und ausbeutungsfreien Wirtschaft? Aus dem meditativen Einheitserlebnis die soziale Pflicht zum engagierten Einsatz für geistige Werte? Eine stärkere Präsenz dieser und ähnlicher Überlegungen wäre eine wünschenswerte Ergänzung in den Debatten der Gegenwart. Die in spirituellen Kreisen geläufigen Ansätze in anthropologischer, ethischer und soziologischer Hinsicht verdienen größere Aufmerksamkeit. Mit mehr Mut zum öffentlichen Auftreten lässt sich die Gegenwart um eine sinnstiftende Kultur der Wiederverzauberung und des leidenschaftlichen Weltbezugs bereichern."