Wenn wir auf das Leben schauen, sind es oft die großen Schöpfungsakte, die uns begeistern. Wenn es uns gelingt, etwas Neues in die Welt zu bringen, etwas zu schaffen, haben wir das Gefühl von Wesentlichkeit. In einem Beitrag für das Philosophie Magazin kehrt Johan Wientgen den Blick um und betrachtet die kleinen Akte der Fürsorge, des Sich-Kümmerns. Und zeigt, dass letztlich diese es sind, die das Leben zusammenhalten. "Dinge zu reparieren und nicht wegzuschmeißen, ist seit Beginn der menschlichen Geschichte eine alltägliche Lebensrealität. Heutzutage ist diese bescheidene Pragmatik einer extremen Dekadenz im Umgang mit alltäglichen Objekten gewichen. ... Das hat auch mit unserem anthropologischen Selbstverständnis zu tun. Denn diesem folgend ist der Mensch in erster Linie ein produzierendes Wesen", so Wientgen. Dem hält er entgegen: "Nicht die großen Schöpfungsmomente sorgen für den reibungslosen Ablauf unseres Lebens, sondern die kleinen Akte des Kümmerns, Pflegens und Bewahrens. ... Auch deshalb zeigt sich überall dort, wo Systeme zusammenbrechen, an den Rändern und Zwischenräumen der Zivilisation, die Kraft des Improvisierens und die Langsichtigkeit der Reparatur. Denn das Reparieren eröffnet dem einzelnen Individuum eine konkrete Handlungsfähigkeit gegenüber dem System. Ich kann einen wirklichen Unterschied in der Welt, die mich umgibt, bewirken, nicht dadurch, dass ich ein neues Produkt kaufe, sondern indem ich einen alten und geschundenen Gegenstand mit meinen eigenen Händen wieder zum Leben erwecke. Dieses direkte und konkrete Verhältnis von mir als Subjekt zur mich umgebenden Welt aus Objekten zu realisieren, hat auf einer ganz persönlichen Ebene etwas Befriedigendes und Beruhigendes." Es ist die Einladung, unser Selbstverständnis zu wandeln und so unsere tieferen Wirkkräfte freizulegen und wirksam werden zu lassen. Zugleich erwächst hier eine Handlungsfähigkeit, die den Menschen tiefer mit dem Leben als Ganzes verbindet. Denn jeder Akt der Zuwendung stiftet Beziehungen und diese tragen.
Kleine Philosophie der Reparatur, Philosophie Magazin 23.1.2023
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