Es geht nicht um Moral, sondern ums System
Bei der Ursachenforschung zur weltweiten Finanzkrise wird immer wieder die Moral bemüht und die Gier von Einzelnen gegeißelt. Falsche Perspektive, meint der Wirtschaftsethiker Karl Homann, der die Entwicklungen an den Weltfinanzmärkten für ein Systemproblem und nicht für eine Folge persönlichen Fehlverhaltens hält: "Unser ganzer Wohlstand beruht auf dem Gewinnstreben, auf dieser Gier. Sie können im Wettbewerb gar nicht anders, weil sonst der andere Sie übernimmt." Homann rät zu einer maßvollen Regulierung, die Raum für Innovationen lasse, aber Exzesse verhindere. Und so sehr der Wirtschaftsexperte für Wettbewerb plädiert, räumt er doch ein, dass ein Wettbewerb in gänzlich ungeregeltem Raum ruinös werde. Die daraus erwachenden Folgen auf moralischer Ebene zu diskutieren, greife jedoch zu kurz. "Die verantwortlichen Manager müssen verschwinden. Ihr Vermögen muss herangezogen werden, dann werden sie sich ihr Verhalten in Zukunft gut überlegen", so Homann. Damit landet die Schuldfrage wieder beim Einzelnen, und es stellt sich die Frage, wie in einem so hochkomplexen System dieser Einzelne überhaupt noch erkennen soll, wann er den entscheidenden Schritt zu weit geht.
"Kategorien wie Gier führen in die Irre", FTD 14.10.2008