Wie sich wirtschaftliche Entwicklungen in der Literatur widerspiegeln können, zeigte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in ihrer letzten Ausgabe. In einem Interview mit Autor Martin Walser beschreibt dieser, wie für ihn Geld schlicht Mittel zum Zweck ist, nämlich dem, ihm den Raum zum Schreiben zu verschaffen - eine Perspektive der Unabhängigkeit, die aus Walser Sicht auch heute nichts an Wichtigkeit eingebüßt hat. Walser als aufmerksamer Beobachter der wirtschaftlichen Dynamik der letzten Jahrzehnte äußert sich kritisch über die marktwirtschaftlichen Entwicklungen. Seine Ansicht: "Das hächste Ziel der menschlichen Existenz bleibt Unabhängigkeit. Daran würde ich jede Gesellschaft messen." In seinen Romanen beschreibt er, wie kleine Menschen nach dem großen Glück oder wenigstens nach ein wenig wirtschaftlicher Freiheit streben und widmet sich auch deren Innenleben, beispielsweise wenn der Fahrer Xaver Zürn im Roman "Seelenarbeit" sich seiner Abhängigkeiten von seinem Arbeitgeber bewusst wird, die sein Selbstbewusstsein erheblich tangieren. Die Figuren in Walsers Romanen lesen sich wie eine Entwicklungsgeschichte des Arbeitsmarktes. Im Roman "Das Schwanenhaus" von 1980 veranschaulicht er anhand des Immobilienmaklers Gottlieb Zürn den gewachsenen Wohlstand des Landes und das Geschäft mit Lebensträumen. 2001 widmet sich Walser mit "Der Lebenslauf der Liebe" dem Spekulanten, der hofft, durch gewagte Geschäfte sein Schicksal ins Grandiose zu steigern und dabei körperlich und ökonomisch ruiniert zurück bleibt. In dem 2006 erschienenen Roman "Angstblüte" kommt Walser noch einmal deutlich auf den Zusammenhang zwischen Geld und Freiheit zurück, denn hier wird Geld zur einzigen Möglichkeit, um so etwas wie Freiheit zu empfinden: Man muss es haben und vermehren. Der Roman vollzieht den Wandel vom Kleinbürger zum Chef, der Geldvermehrung als Kunstform betreibt. Nüchtern betrachtet sind Walsers Figuren ein nüchterner Spiegel gesellschaftlich-wirtschaftlicher Entwicklungen und invidivueller Träume. Eine Vision davon, wie Wirtschaft auch anders sein könnte, entwickelt er indes nicht. Der inzwischen 80-Jährige sieht heute viele seiner früheren, teils sehr kapitalismuskritischen Anmerkungen eher zurückhaltend und deutlich milder und richtet seine Kritik eher gegen den Staat: "Der Staat nimmt den Arbeitenden das Geld einfach weg. Das ist unmöglich. Was den Kapitalismus angeht, möchte ich mir den Mund zunähen, wenn ich mir heute anschaue, was ich da geschrieben und gesagt habe." Altersweisheit oder Resignation? Auf jeden Fall viele Ansatzpunkte, um selbst die Gedanken schweifen zu lassen.
"Reichtum macht unabhängig. Aber auch hässlich", FAS 9.9.2007
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