Die öffentliche Diskussion um die "Schlecker-Frauen" ist schon wieder verstummt, doch Jakob Augstein stellt im "Freitag" die Grundsatzfrage. Wo sich die mediale Berichterstattung und das politische Engagement im Fall Schlecker-Insolvenz nahezu erschöpft haben in parteipolitischen Profilierungsversuchen und Diskussionen über Pseudo-Lösungen, wirft Augstein den Blick auf die zentrale Perspektive hinter der funktionalistischen Oberflächenpolitur. Er kritisiert, dass bei all dem Rummel die Frage der Verteilungsgerechtigkeit außen vor blieb und diagnostiziert eine "moralische Degenerierung": "Mit dem Lebensstandard der Armen sinken die Maßstäbe die Reichen. Die große Umverteilung, die wir seit vielen Jahren erleben, bezieht sich nicht nur aufs Geld. Nicht nur materielle Werte werden von unten nach oben verteilt, sondern auch die moralische Wertigkeit. Wer viel verdient, so lautet diese neu-calvinistische Moral, verdient eben auch viel." Augstein führt an, dass wirtschaftliche Effizienz der Frage der Gerechtigkeit nicht entgegenstehe, und bemängelt, dass die Politik sich nicht in der Lage sieht, durch entsprechende Gesetze zu verhindern, dass Unternehmen in guten Zeiten viel Geld verdienen und in den schlechten die Allgemeinheit dann für den Schaden aufkommen muss: "Eine solch passive Haltung des Staates hat mit Vernunft nichts zu tun, sondern sehr viel mit Ideologie. Nicht weniger, sondern mehr staatliche Intervention im Wirtschaftsleben täte Not." Das mag neoliberaler Lesart nach übermäßiger Gängelung und Beeinträchtigung des freien Unternehmertums riechen, doch schauen wir doch einmal genau hin: Wie viele Firmen gibt es, die wirklich zum Wohle der Gesellschaft wirtschaften und nicht nur zum eigenen Wohl?
Die unteren Elftausend, der Freitag 5.4.12
© Dr. Nadja Rosmann 2024
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