In einem Interview mit dem Freitag spricht Ulrich Brand, Mitglied der Enquete-Kommission zu Wachstum und Wohlstand, über das Dilemma der Nachhaltigkeit. Obwohl Themen wie die Schonung der natürlichen Ressourcen, Energieeffizienz und Recycling längst Hochkonjunktur haben, entfalten sie in den Augen von Brand nicht die wünschenswerte Wirkung, weil letztlich so genannte Rebound-Effekte die eigentlichen Erfolge aufzehren. Wo ein alter Kühlschrank durch einen neuen, energieeffizienteren ersetzt werde, verpuffe der Einspareffekt, wenn der neue Kühlschrank dafür umso größer sei und letztlich genau so viel Energie wie vorher verbrauche, so Brand. Der Sachverständige fordert von der Politik mehr Konsequenz, notfalls auch gegen die Interessen von Unternehmen und Verbrauchern. Brands Credo: "Der Staat ist darauf getrimmt, dass die kapitalistische Ökonomie wächst, dass sie wettbewerbsfähig bleibt, dass sie Steuern abwirft und Arbeitsplätze schafft. Was aber ausgeblendet wird: Wohlstand entsteht auch durch gesellschaftliche Tätigkeiten, die nicht marktförmig sind: Sorgearbeit, Freiwilligenarbeit, Erziehungsarbeit. ... Wachstum hat einen herrschaftlichen Charakter. Wachstum bedeutet, dass die Mehrheit der Bevölkerung in die kapitalistische Modernisierung reingerissen wird, etwa der Arbeiter in der Weltmarktfabrik in China. ... Die gesamte Stimmung unserer Gesellschaft hängt an der Wachstumsfrage. ... Wir müssen uns sowieso auf abnehmende Wachstumsraten einstellen, Wohlstand anders verstehen. Aber das muss man gegen den Willen der Vermögensbesitzer durchkämpfen, die Rendite wollen. Auch der Staat muss eine andere Steuer- und Sozialversicherungspolitik betreiben und weg von der Wachstumsnadel kommen." Brand kritisiert, dass es derzeit keinen erkennbaren politischen Willen gebe, etwas an den Rahmenbedingungen zu verändern. Seine Vision: Bessere Recyclingsysteme, ein Arbeitsverständnis, das sich nicht nur auf Lohnarbeit beruft, aber auch eine Selbstbeschränkung der Bevölkerung, die abwägt, welche Folgen ihr eigenes (Konsum-)Verhalten haben wird.
"Wohlstand geht bald anders", Der Freitag 25.9.12
© Dr. Nadja Rosmann 2024
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