Die Zeit spricht mit dem Arbeitspsychologen Tim Hagemann über die wachsenden Sinnanforderungen, die immer mehr Menschen mit ihrer Arbeit verbinden. Hagemann beleuchtet dabei, dass diese Sinnsuche erst in den letzten Jahren immer mehr zum greifbaren Phänomen wurde. Standen in den Nachkriegsjahren vor allem Sicherheit und Anpassung im Fokus der Arbeitenden, kam das Thema Selbstverwirklichung erstmals mit den 68ern auf. Immer mehr Berufsprofile, in Werbung, Medien oder auch im Sozialbereich, stellen seitdem nicht nur die Kreativität in den Mittelpunkt, sondern auch die Bezüge zu einem größeren Ganzen, zur besonderen Wirksamkeit des Einzelnen. Für den Arbeitspsychologen führt dies zu einem Dilemma, denn: "Mit den Wahlmöglichkeiten stieg jedoch die Erwartungshaltung, etwas aus dem eigenen Leben zu machen. Es ging nicht mehr nur darum, einen Beruf zu ergreifen, sondern etwas Sinnvolles zu tun und gleichzeitig materiell abgesichert zu sein. Diese Entscheidung wird in einer digitalen, hoch komplexen, flexibilisierten und globalisierten Welt immer schwieriger." Das Problem: Gesellschaftliche Anerkennung korreliert häufig mit dem Beruf. Diejenigen, die aus der Leistungsgesellschaft - bewusst oder gezwungenermaßen - ausscheren - müssen ihre Lebensentwürfe verteidigen bzw. werden als gescheiterte Existenzen abgestempelt. Hagemann verweist darauf, dass insbesondere Menschen, die der Wettbewerbsgesellschaft nicht gewachsen sind, heute gesellschaftlich stigmatisiert werden, weil es für sie in der Arbeitswelt schlicht keinen Platz mehr gibt, da solche geschützten Nischenjobs längst wegrationalisiert wurden.
"Nicht jeder Mensch ist für Arbeit geboren", Die Zeit 28.7.11
© Dr. Nadja Rosmann 2024
Impressum / Datenschutz
Weitere Beiträge im Blog
- Klima-Angst und möglicher Job-Verlust
- Wohlstand lässt Jugendliche unglücklicher sein
- Stress ist Gift für Unternehmen
- Führungskräfte sind ein wesentlicher Bindungsfaktor
- Warum Nein-sagen manchen so schwer fällt
- Ein Loblied auf die Vier-Tage-Woche
- Arbeiten bis zum Umfallen war gestern
- Braucht es Goodies, um die Rückkehr ins Büro schmackhaft zu machen?
- Im Job wird von Frauen mehr erwartet
- Ist das Glück näher, als wir denken?
- Schlaf lässt sich weder erzwingen noch herbeimessen
- Power im Job fängt beim Essen an
- Schöne Alltagsmomente machen das Leben bedeutungsvoll
- Fast alle wollen einen ordentlichen Feierabend
- Viele wollen weniger arbeiten