Das Online-Magazin Telepolis geht in einem Interview mit der Philosophin Svenja Flaßpöhler der Frage nach, wie sich das gängige Paradigma gesellschaftlicher Hyperaktivität konstruktiv hinterfragen lässt. Für Flaßpöhler ist dabei augenscheinlich, dass die Aktivität als Gegenpol auch eine passive Perspektive braucht, wenn wir uns nicht in eine Sackgasse manövrieren wollen: "Ein hyperaktiver Mensch, der immer nur nach vorne, nie aber nach links und rechts, geschweige denn nach hinten schaut, weil er dafür gar keine Zeit hat, agiert ohne soziale Verantwortung. Ihn interessiert nur das Vorwärtskommen. Jede Ablenkung verursacht Stress. Der faule Mensch, der Sonntags nachmittags auf dem Sofa liegt, schläft, ein bisschen Zeitung liest, zwischendurch auf der Gitarre klimpert, agiert hingegen sozial. Durch seine Passivität, die ja nie reine Passivität ist; die gibt es nur im Tod, wird er wieder offen für die Welt. Hyperaktivität verhärtet den Menschen. Passivität lässt ihn weich werden, empfindsam für Eindrücke, Verlockungen, Kinderfragen." Die Philosophin ist der Ansicht, dass wir ganz grundsätzlich die Systemfrage stellen sollten, da allein eine Symptombehandlung wie beispielsweise die Idee temporärer Unerreichbarkeit, nicht tief genug gehe. Ein in ihren Augen wichtiges Thema ist dabei die Selbstverwirklichung: "Selbstverwirklichung, für mich immer noch eine lohnenswerte Utopie, setzt die Anerkennung der eigenen Grenzen, das Wissen um die eigenen Neigungen voraus: Ohne Selbst keine Selbstverwirklichung. In Zeiten neoliberaler Flexibilisierung sind wir davon weit entfernt. Marx war der Ansicht, dass Selbstverwirklichung im Kapitalismus nicht realisiert werden kann, weil das Arbeitsprodukt nie dem Arbeiter, sondern einem Anderen gehört. Dieser Andere treibt uns an mit dem Versprechen, dass die Mühe sich lohne. Aber lohnt sie sich wirklich? Möglich, dass wir gerade dabei sind, uns auf grandiose Weise selbst zu verfehlen." Diese Selbstverfehlung wird letztlich vor allem durch die Gegenwartskultur geradezu angefeuert, denn das Überschreiten der eigenen Grenzen, das fast schon zwanghafte Genießen in der Konsumgesellschaft stehen häufig Perspektiven wie der der moralischen Integrität oder der gesunden Selbstfürsorge entgegen. Eine Einladung, sich weiterhin auf die Suche nach der bestmöglichen aller Welten zu begeben ...
"Wir kommen um die Systemfrage nicht herum", Telepolis 25.2.12
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