Weniger Selbstmorde im Shutdown
Wie stressig und belastend Menschen die Arbeitswelt empfinden, zeigt sich manchmal gerade dann, wenn diese Stressoren plötzlich wegfallen. In Japan beispielsweise ist die Selbstmordrate im April im Vergleich zum Vorjahresmonat um 20 Prozent gesunken. Ursprünglich war die Befürchtung, dass durch den Pandemie-Stress selbst und das temporärer Wegfallen vieler Hilfsangebote die psychischen Belastungen höher werden. Doch dies scheint, zumindest was das Empfinden extremer Ausweglosigkeit angeht, nicht der Fall zu sein. Die Menschen sind öfter zuhause bei ihren Familien und nicht so sehr durch die in Japan geradezu überbordende Leistungskultur betroffen, was zu Entspannungen zu führen scheint. Der verspätete Schulanfang könnte zusätzlich zum Rückgang der Selbstmorde beigetragen haben, denn in Japan leiden bereits viele Schüler unter Überforderung oder Mobbing. Hinzu kommt eine typische Eigenheit der japanischen Kultur - in Krisenzeiten versuchen sie stark zu sein für ihr Land. So konnten die Wissenschaftler auch im Jahr 2011, als ein Tsunami zur Reaktorkatastrophe in Fukushima führte, weniger Selbstmorde feststellen. Insgesamt ist es eindrücklich, wie sich durch die teils dramatischen Veränderungen im gewohnten Leben durch die Pandemie nun Stück für Stück zeigt, in welchen Bereichen ganze Kulturen und Gesellschaften sich über lange Zeit in dysfunktionalen Normalitäten eingerichtet haben. Die Frage ist, was wir aus diesen Erkenntnissen für eine bessere Zukunft lernen können.
Weniger Arbeit, mehr Familie, Freitag 18.5.20