Das digitale Nomadentum hat in den Medien Hochkonjunktur. Immer wieder erscheinen Beiträge über insbesondere junge Menschen, die sich mit digitalen Jobs selbstständig machen und arbeitend um die Welt reisen. In sozialen Netzwerken werden diese Lebensweisen gerne als Kultur der Selbstbefreiung dargestellt. Ich bin so frei und ich mach' einfach mein Ding! Die New-Work-Autorin Christine Thiel geht in ihrer 2021 publizierten Dissertation "Der mobile Alltag Digitaler Nomaden zwischen Hype und Selbstverwirklichung" dem Phänomen nach und kommt zu eher ernüchternden Erkenntnissen. Denn in gewisser Weise entsteht hier ein neues globales Prekariat, allerdings eines, das sich in Freiheit glaubt. Vielen der digitalen Nomaden spielt das Lohngefälle zwischen verschiedenen Ländern in die Hand. Sie arbeiten für westliche Firmen und leben sehr preiswert in Ländern mit deutlich niedrigeren Lebenshaltungskosten. Aber mehr noch - in Thiels Feldforschungen zeigte sich, dass nicht wenige der Selbstverwirklicher eher zu den Geringverdienern gehören. Hinzu kommt: Ihre Angebote am Markt sind oft eher selbstreferenziell. Viele leben von Online-Kursen, die den eigenen Lebensstil als Non-Plus-Ultra verkaufen und anderen Tipps geben, wie sie selbst zum digitalen Nomaden werden. Es ist eine Blase, die sich selbst am Leben erhält, aber nicht wirklich etwas in die Welt bringt, das zu realer Entfaltung führt. Fast scheint es, als hätte der Kapitalismus hier auf smarte Weise eine neue Stufe gezündet, die der digitalen Selbstversklavung.
Neoliberale Hippies, taz 12.1.2023
© Dr. Nadja Rosmann 2023
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