Sensibel oder einfach selbstbezogen?
Dank der Psychologie wissen wir immer mehr über die menschlichen Empfindsamkeiten. Ein besonderes Thema unserer Zeit ist dabei die so genannte Hochsensibilität. Sie wird kontrovers diskutiert, denn es ist schwer, sie nach wissenschaftlichen Standards zu "messen". Und manche glauben, dass Menschen, die sich als hochsensibel empfinden, schlicht ein Ding aus ihrer Überempfindlichkeit machen. In eine ähnliche Richtung gehen zwei neue Studien, die Hochsensibilität, Narzissmus, Anspruchsdenken und Selbstwertgefühl bei 600 Proband.innen untersuchen. Hier zeigt sich, dass Hochsensible auf unangenehme Situationen sehr stark reagieren und dann gerne mit Rückzug antworten. Weil sie sich als etwas Besonderes sähen, glauben sie, einen Anspruch darauf zu haben, wegen ihrer höheren Sensitivität negativen Erfahrungen aus dem Weg zu gehen, so die Studie. Die Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von einem "hypersensitiven Narzissmus", weisen aber auch darauf hin, dass es ihnen lediglich um eine Untersuchung des Phänomens gehe, nicht aber um eine Pathologisierung. Der wunde Punkt: Es gibt sie tatsächlich, diese hypersensiblen Persönlichkeiten, die stark um sich selbst kreisen und keine Gelegenheit auslassen, ihre Besonderheit geltend zu machen. Doch gleichzeitig erscheint es auch als ein recht gesundes Phänomen, dass immer mehr Menschen auf die wachsenden Anforderungen des Lebens, auf ein Bombardement durch Informationen und äußere Impulse, mit Abgrenzung reagieren. Vielleicht ist das nicht nur ein Zeichen von Hochsensibilität, sondern auch von gesunder Selbstbehauptung. Denn letztlich hat die menschliche Aufnahmefähigkeit wohl Grenzen.
Hochsensibilität: Narzisstische Züge, Psychologie heute 4.11.2022